Wenn du Miguel (21 Jahre) den Strandverkäufer das erste mal siehst, versetzt er dich in eine andere Welt. Er strahlt dich mit seinen Augen an. Er zeigt dir mit seiner aufgestellten Art, was wirklich wichtig ist im Leben. Was wirklich glücklich macht.
Keiner hat uns auf unserer Weltreise so zum Nachdenken gebracht, wie Miguel der Strandverkäufer.
Miguel steht seit 10 Jahren täglich auf, macht sich 30 Kilometer auf den Weg, um seinen Schmuck am Strand in Zipolite zu verkaufen. Die Fahrt hin und zurück kostet ihn sein halbes Tagesgehalt. Der allergrösste Teil der anderen Hälfte wird das Essen verschlingen. Er isst fast jeden Tag Hühnchen und Kartoffeln vom Grill. Das günstigste Gericht in Zipolite, Mexiko. Ihm schmeckt es fantastisch und er schwärmt fast täglich davon.
Wir laden Miguel zu einem ganz persönlichen Gespräch ein und er ist sofort begeistert, uns seine Geschichte erzählen zu dürfen. Er hat unseren Horizont weit geöffnet und seine Einstellung wird uns ein Leben lang als Vorbild dienen.
Ich hoffe, wir können dir etwas von seiner Lebensfreude weitergeben.
Wie ist es dazu gekommen, dass du Strandverkäufer wurdest?
Der Vater eines meiner Freunde hat mich erstmals mitgenommen als ich 11 Jahre alt war. Ich bekam ein schönes T-Shirt für eine Woche Arbeit. Mir hat die Arbeit gefallen und mir gefallen schöne Kleider.
So bin ich gleich bei dem Beruf geblieben und die Schule wurde Nebensache. Seither komme ich täglich hierher.
Wieso verkaufst du gerade Schmuck und nicht Früchte oder Wasserglacen?
Die Antwort ist einfach:
- Früchte werden schlecht, wenn man sie nicht am selben Tag verkauft.
- Glacen verkaufen sich besser bei Kindern. Hier gibt es nicht so viele und wenn, dann nur Einheimische. Die Eltern von denen haben zu wenig Geld dafür.
Klar, also Ketten. Woher hast du die denn?
Ein paar davon macht meine Familie. Die meisten aber mein Nachbar und Freund. Er sammelt die Steine, Holz und Muscheln. Anschliessend macht er daraus diese Ketten.
Ich kaufe ihm die Ketten ab, so hat er auch etwas davon und es reicht für uns beide zum Leben.
Du kannst das sehr gut, was ist deine Masche?
Ihr habt es ja gesehen. Ich will erst niemandem etwas verkaufen. Ich liefere Informationen. Die meisten Touristen sind interessiert an meinem Wissen um Zipolite, die Umgebung und ganz Mexiko.
Wenn wir einmal in einem Gespräch verwickelt sind, gibt es kein Zurück mehr.
Ich frage so nebenbei, ob sie nicht mal…. Warte, ich zeige es am besten, kannst du mit deinem Telefon Video aufzeichnen?
Wieso verkauft ihr eigentlich eure Ketten nicht zu fixen preisen? Europäer sind es nicht gewöhnt, immer zu feilschen.
Der Grund ist, weil ich manchmal nichts verkaufe, dann muss ich den Preis anpassen. Wenn ich mehr verkaufe oder sehe, dass die Touristen reich sind, setze ich den Preis höher an.
Sprechen sich die Strandverkäufer untereinander ab, damit alle ähnliche Preise haben?
Klar reden wir miteinander. Jeder will besser sein, als der andere. Aber am Ende des Tages geht es nicht ums Geld. Wir sind sehr gute Freunde und es gibt eine positive Rivalität.
Am Abend spielen wir oft noch Frisbee zusammen. Wenn Touristen einen Ball haben, spielen wir manchmal zusammen Volleyball. Das macht mir Spass.
Gibt es denn Touristen, welche du besser oder weniger gut magst?
Hmmm… Amerikaner, Franzosen oder Deutsche sind sehr nett. Italiener sind manchmal gemein, abschätzig und laut. Sie versuche ich zu meiden.
Ach und Schweizer. Ihr seid aus der Schweiz? Schweizer sind natürlich auch sehr nett… (lächelt verschmitzt)
Wenn ein Tourist nichts kaufen, aber freundlich bleiben will, wie soll er das am besten anstellen?
Ganz einfach. Er lächelt und sagt: Nein, vielen Dank und schaut weg.
Es ist doch klar, dass wir gerne etwas verkaufen würden, aber ich finde, man kann immer freundlich bleiben. Auf beiden Seiten.
Die Ketten, welche du in alle Welt verkaufst, sie reichen also für dich und deinen Freund? Wie viel verdienst du denn in einem durchschnittlichen Monat?
Hier in Zipolite gibt es während sechs Monaten nur wenige Touristen. So wie jetzt sehe ich am Strand nur etwa 20 – 30 Personen. In diesen Monaten verkaufe ich Ketten für etwa 2000 Peso (ca. 110€) pro Monat. Davon ist die Hälfte für meinen Freund.
In den restlichen sechs Monaten verkaufe ich mehr zu einem höheren Preis. Dann habe ich Ende Monat etwa für 5000 Peso (280€) Ketten verkauft und ich gebe meinem Freund 2000 ab.
Ich arbeite etwa 10 Stunden pro Tag und dafür habe ich etwa 110-120 Peso.
Ich arbeite12 Stunden mit der Anfahrt. Dafür verdiene ich etwa 110-120 Peso (6.70€) pro Tag.
Ich darf einfach nicht krank werden, sonst fällt sofort der Lohn für meinen Freund und mich aus. Bisher war das aber noch nie der Fall.
Das ist für mich ein guter Lohn. Ich brauche nicht so viel für Essen, Kleidung und Unterkunft. Ich spare jährlich etwa 900 Peso (50€).
Was machst du mit deinen Ersparnissen?
Ich gehe in der Nebensaison zusätzlich in eine Schule, in welcher wir lernen, wie wir Früchte und Gemüse anpflanzen können. Es sind nur ein paar Stunden pro Woche, aber so geht das gut neben meiner Arbeit.
Zudem habe ich mir aus dem Geld Pflanzen gekauft. Ich habe in meinem Garten mittlerweile 20 verschiedene Früchte- und Gemüsesorten. Hauptsächlich Mangos.
Bis jetzt reicht das für meine Familie und enge Freunde. Irgendwann möchte ich die Früchte verkaufen und einen zusätzlichen Verdienst für meine zukünftige Familie haben.
Wäre das dein Traumberuf, dein Gemüse und deine gepflanzten Früchte verkaufen zu können?
Das wäre toll. Der Verdienst ist aber sehr klein. Beim Export können wir nicht viel verdienen, da wir gezwungen sind, alles über Amerika laufen zu lassen. Sie drücken unsere Preise und verdienen den grössten Teil an unserem Export. Wir können nicht direkt an andere Länder liefern.
Aber am liebsten wäre ich Tourguide. Vielleicht klappt es einmal. Ich lerne dafür seit drei Wochen Englisch. 20 neue Wörter täglich.
Das mache ich aber auch, um am Strand mehr verkaufen zu können.
Sobald ich Englisch kann, will ich Französisch lernen.
Du arbeitest knapp 100 Stunden pro Woche, und das nicht in deinem Traumberuf. Bist du glücklich?
Ich könnte nicht glücklicher sein. Ich lebe im schönsten Land der Welt. Ich arbeite am schönsten Ort der Welt. Zipolite heisst für mich Glück. Hier gibt es keine Korruption, es ist ruhig, es gibt keinen Stress und keinen Verkehr.
Hier ist das Leben ruhig. Wie könnte ich nicht glücklich sein. Die Luft ist hier so frisch, die Sonne scheint und ich kann immer auf das Meer sehen.
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Aber du läufst jeden Tag den Strand entlang, um reiche touristen in ihren Ferien zu bedienen. Etwas, was du dir vielleicht nie leisten kannst? Findest du die Welt denn gerecht?
Da hast du recht. Ich mache mir schon Gedanken.
Das mit dem Geld stimmt. Aber hier zählt das Geld nicht viel. Ich habe mein Leben! Wir haben so viele Früchte, ich bin frei und habe keine Sorgen.
Nehmen wir euch. Ihr seid aus der Schweiz. Dort ist es kalt, oder nicht? Habt ihr auch einen Strand? (Wir verneinen…)
Das ist wirklich nicht gerecht, das kann ich verstehen.
Bei euch haben sicher viele Gelenkschmerzen und Rückenprobleme.
Wir haben das Meer, schönes Wetter und einen tollen Strand. Das ist viel die bessere Umwelt.
Das tut mir leid für euch.
Möchtest du denn gar nie den Schnee sehen, oder die Schweiz besuchen?
Kälte ist nicht gut. Viele Mexikaner werden krank, wenn es kalt wird. Viele haben auch Schmerzen in kälteren Regionen, das ist nicht gut für den Körper. Nein, das will ich auf keinen Fall.
Zudem gibt es in den Bergen zu wenig Pflanzen. Bei uns reinigen die vielen Pflanzen die Luft, deswegen ist sie hier so frisch.
Dir gefällt dein Land wirklich. Wieso gibt es denn Mexikaner, die unbedingt nach Amerika einreisen wollen?
Es gibt nicht nur einige. Ich habe sehr, sehr viele Freunde, die es versucht, und manche auch geschafft haben. Das macht mich traurig.
Keiner von ihnen wollte in die USA. Sie mussten, weil sie hier nicht mehr genug Geld zum leben verdienen konnten. Alle die ich kenne wollten nur in die USA, um zu arbeiten.
Und alle wollen danach wieder zurück nach Mexiko.
Und du, willst du nie ins Ausland?
Zum Arbeiten könnte ich mir das vorstellen. Zum Leben nicht. Ich bin hier glücklich und so lange das Geld zum leben reicht, werde ich nicht in ein anderes Land verreisen.
Zum Schluss: Viele Touristen haben Angst, durch Mexiko zu reisen. Was willst du ihnen sagen?
Mexiko ist nicht überall sicher. Es gibt aber so viele schöne Orte, wie Zipolite, die sind in Ordnung.
Das Land ist gross, man kann unsichere Regionen vermeiden. Hier zum Beispiel ist sogar die Polizei nicht korrupt.
Es wäre schade, dieses tolle Land zu verpassen, aus Angst um die Sicherheit.
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